Günter Kunert

Günter Kunert

* 06.03.1929 in Berlin
† 21.09.2019 in Kaisborstel
Erstellt von NWZ Online
Angelegt am 04.10.2019
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Er war der fröhlichste deutsche Pessimist

04.10.2019 um 15:39 Uhr von NWZ

 

Günter Kunert, einer der großen Dichter der Gegenwart, ist tot. Sein Leben berührte viele Epochen - von der Weimarer Republik über die Nazizeit, die DDR bis zum wiedervereinigten Deutschland. Er war ein großer Moralist und gewiss einer der vielseitigsten deutschen Dichter der Gegenwart.

Kaisborstel /Oldenburg „Wir haben jetzt nur noch eine Katze“, hatte er einmal bei einem Besuch gleich an der Tür gesagt.

Das ist wichtig zu betonen, weil es bei vorherigen Besuchen auch schon mal acht oder zehn waren. Fünf lebten eine Zeitlang draußen, einige nur drinnen. Eine Katze hieß Humpelchen, weil sie ein Bein nachzog. Offenbar gar nicht behindert, hockte damals die eine, noch verbliebene Katze gerade auf dem höchsten Küchenschrank und linste misstrauisch runter.
Und Günter Kunerts Frau lächelte verständnisvoll dazu.


Leben im Minidorf

Eine Zeitlang wurde kolportiert, der Lyriker, Essayist und Prosaist, vor allem der Katzennarr, der Vorworte zu etlichen Katzenbildbänden lieferte, würde sich neben seinen Katzen im riesigen Garten seines abgelegenen Klinkerbaus beerdigen lassen. Mal abgesehen davon, dass so etwas in Deutschland „naturgemäß“ verboten ist, wozu er immer gern leicht grinste, hatte er sich schon vor Jahren eine Grabstätte noch mit seiner ersten Frau in Berlin gekauft – auf dem riesigen jüdischen Friedhof in Weißensee.

„Da werde ich dann“, und da grinste er vor Monaten wieder spitzbübisch, „mit dem alten Freund Stefan Heym zur Geisterstunde spuken.“ Das wird nun der Fall sein: Am Samstagabend, 21. September, ist Günter Kunert, der große, kritische und vielleicht klügste unserer Gegenwartsdichter, im Alter von 90 Jahren gestorben.

Kunert saß, wenn er nicht am Schreibtisch hockte und auf einer alten Brother-Schreibmaschine rumtippte, am liebsten im riesigen Kaminzimmer des Hauses. Es war das ehemalige Klassenzimmer der Dorfschule von Kaisborstel in Schleswig-Holstein, unweit von Itzehoe.

Ein Raum mit wenigen Büchern und ganz komischen Gemälden von Kunert. Der hatte, obwohl er längst nicht mehr so mobil war, in den vergangenen Jahren immer wieder Ausstellungen, darunter in Berlin. Neben der Prominenz kamen da mitunter so viele zur Vernissage, dass sich eine Schlange bildete. Seinen zeichnerischen Nachlass vermachte er übrigens dem Wilhelm-Busch-Museum in Hannover.

Kunert war eine Doppelbegabung. Er schrieb und er malte. Das Malen hat er ein paar Semester in Ostberlin studiert, vom Schreiben hat er fast immer gelebt. Er ist bis heute, was nicht viele wissen, einer unser meistgedruckten Schulbuchautoren. Aus seinen Räumen hat er in den vergangenen Jahren dennoch die meisten Bücher verbannt, vor allem die von fremden Autoren. „Danke, wir schreiben selbst!“, hat er mal auf seine listige Art auf das Buchgeschenk eines Ahnungslosen geantwortet.

Kunert hatte eben eine Meinung, was heute ja nicht selbstverständlich ist. Damit hatte er sich redlich den Titel der „Kassandra von Kaisborstel“ verdient. Das Minidorf bei Itzehoe wurde so zum „Symbol des Schwarzsehers“. Dazu lachte Kunert wunderbar.

Für einen Pessimisten hatte er ungeheuer viel Witz. Für einen düsteren Menschen lachte er viel zu hell. Warum dann doch der negative Grundton? „Weil die Welt“, erklärte er gebetsmühlenartig, „eben negativ ist.“ Um es mit einem Kunertschen Lieblingswort zu sagen: „Trostlos“. So manches Telefonat, wenn man alle Katastrophen, darunter die Bundespolitik oder die Umweltpolitik durchgesprochen hat, endete mit diesem Wort.
Mit Biermann befreundet

Kunert gehörte zu denen, die früh auf die Umweltverschmutzung hinwiesen, zum Beispiel in Gedichten wie „Utopia II“. Gnadenlos hat er zuletzt in seiner Lyrik das eigene Altern beschrieben. Und er war bis zum Schluss einer von wenigen, die als DDR-Rausgeekelte das Üble der DDR-Diktatur verdeutlichten. Für Stasi-IMs, deren gab es viele in seinem Umfeld, hat er kein Verständnis: „Man musste ja nicht mitmachen! Keinem, der nicht mitmachte, ist was passiert!“

Die Zahl seiner Freunde war enorm groß und gut gemischt. Wolf Biermann gehört selbstredend dazu. Im Zuge von dessen Ausbürgerung ging Kunert dann 1979 auch in den Westen. Johannes Mario Simmel war auch ein Freund. Mit Ralph Giordano verband ihn mehr als die Vorliebe für altes Blechspielzeug.

Das kenntnisreich gesammelte Blechspielzeug hatte mit dem Nachholen von Kindheit zu tun. Die hat Kunert nicht gehabt, jedenfalls nicht so wie andere. Er hat als sogenannter Halbjude mit Glück die Nazizeit überlebt, viele Verwandte wurden in Vernichtungslagern vergast. Kunert hatte keine eigenen Kinder. Auch so eine Reaktion auf diese Welt.

Ab und zu setzte er, der zuletzt nicht mehr gehen konnte, sich auf seinen kleinen Rasentraktor. Ein knuffiges Ding, das ihm viel Spaß machte. Da war er knatternd über 5000 Quadratmeter Rasen unterwegs, die Katze flitzte aufgeregt ins Gebüsch. Aber vor einiger Zeit ist auch diese letzte Katze gestorben. Eine neue wollte er nicht mehr. Seinem abgelegenen Wohnort war Kunert über Jahrzehnte treu geblieben. „Provinz“, sagte der gebürtige Berliner gern, „findet doch in den Köpfen statt.“

Wir werden Günter Kunert, diesen freundlichsten und fröhlichsten Pessimisten Deutschlands, unendlich vermissen.

Gedenkkerze

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Entzündet am 04.10.2019 um 15:35 Uhr