Irma Holtz

Irma Holtz

geb. Meyer
* 28.05.1921
† 30.12.2016 in Elsfleth
Erstellt von Uwe Koopmann
Angelegt am 02.01.2017
4.552 Besuche

Neueste Einträge (4)

Nordwest-Zeitung

vom 18.03.2017

Irmas Leben

17.03.2017 um 14:31 Uhr von Uwe

 

Irma Holtz, verw. Kohls, geb. Meyer

 

Meine Tante wurde am 28.05.1921 in Damitz, Kreis Kolberg, Pommern geboren. Sie wuchs in der elterlichen Landwirtschaft des Dorfes auf. Der Bruder Walter wurde 1924 und die Schwester Lydia 1926 geboren. Ihr Vater verstarb 1934. Die Mutter Olga führte den Betrieb alleine weiter, später unterstützt durch zwei französische Kriegsgefangene, von denen  einer nach Kriegsende wieder Kontakt suchte. Der Bruder Walter fiel und liegt in Riga, Lettland begraben. Zuvor hatte ihn Irma noch einmal dort im Lazarett besucht.

Sie heiratete 1943 den Kolberger Verwaltungsangestellten Kurt Kohls. So lernte sie etwas von dem Kolberger Stadtleben und die Schwestern Hedwig und Else kennen. Kurt wurde auf den Flugplatz Gnesen in Polen versetzt. Auch dort konnte sie ihn besuchen. Als die russische Front kam, brach der Kontakt ab.

Bei Kriegsende flüchteten Irma und Lydia mit ihrer Mutter zunächst in den Wald und kehrten dann auf den Hof zurück, wo sie fast ein Jahr im Stall leben und die letzte verbliebene Kuh melken konnten. Eine vertriebene Polnische Familie lebte in ihrem Wohnhaus, es entstand eine hilfreiche Zweckgemeinschaft. Bei der endgültigen Vertreibung ging es dann in Viehwaggons in den Westen nach Kiel.

Während Lydia einen Lehrerhaushalt fand, blieb Irma bei Ihrer Mutter im Barackenlager. Eine Blechschüssel hat sie aus dieser Zeit bewahrt und hatte bis 2014 noch ihre Kartoffeln damit aus dem Keller geholt und geschält. Weitere Station war ein Bauernhof in Elsfleth-Bardenfleth. Dort war die Unterbringung so armselig, das Lydia, die inzwischen in Bad Zwischenahn im Cafe arbeitete, sich für deren Umzug auf den Hof Büsing nach Lienen einsetzte.

Bei der Reinigung von Schiffs Bank in der Peterstraße war Irma dicht am großen Geld, aber noch nicht am großen Verdienst. Die Heringsfischerei war auch nicht Ihr Berufstraum. So blieben Reinigungs- und Näharbeiten, die sie sehr geschickt ausführte. Eine kleine Witwenrente bekam sie erst, als sie sich dazu durchrang, ihren Mann für tot erklären zu lassen. Der Suchdienst des Roten Kreuzes bestätigte 10 Jahre nach Kriegsende, dass er beim Einmarsch der Roten Armee hingerichtet worden war.

Bei Krajewskis im Pommernweg 5 bezog sie eine Neubau-Oberwohnung. Dort betreute sie auch oft und gerne mich, den 1954 geborenen Sohn Uwe ihrer Schwester. Lydia hatte den Elsflether Carl Koopmann geheiratet und mit ihm ein kleines Tabakwaren-und Spirituosengeschäft gegründet. Dort half sie oft im Laden und war sehr beliebt.

Die Mutter Olga starb 1956 nach kurzer Krebserkrankung. Das Grab auf dem Elsflether Friedhof ist noch heute erhalten und Carl und Lydia fanden dort ihre letzte Ruhe.

Hedwig und Else Kohls kamen nach dem Krieg nach Ostfriesland. In bescheidenen Verhältnissen lebten sie in Upgant - Schott. Von Ina(Sturm) gibt es ein Urlaubsbild mit Hühnern. Mein Vater sagte dazu, in Ostfriesland seien die Leute so arm, die müssten die Kartoffeln durchschneiden. Irma besuchte die Schwestern, hielt Kontakt und ließ auch deren Gräber pflegen.

Ebenso hielt sie es mit den den in ganz Deutschland verteilten Verwandten. Sie schrieb nicht nur zu Geburtstagen, sondern machte auch Besuche. In Hameln, Kenzingen und Celle erlebte ich mit ihr gemeinsam wundervolle Urlaube.. In Flöha in Sachsen/DDR ließ sie sich zur Jugendweihe einladen. Bei Hochzeiten kam sie einige Tage früher zur Vorbereitung. Sie opferte sich nicht auf, sondern tat es gerne und verstand es auch, die Schürze rechtzeitig abzubinden und mitzufeiern.

Auf einer Moselreise mit einer Freundin lernte Sie ihren zweiten Mann Willi kennen. Sie ließen sich am 10.04.1965 durch Pastor Heinemeyer in Elsfleth trauen. Der gelernte Landschaftsgärtner hatte eine gute Stelle in einem Harburger Speiseölwerk. Da er nur über einen Mopedführerschein verfügte, ließ ihn der Chef in seinem Dienstmercedes zum Garteneinsatz bei der Villa bringen. Sein hanseatisches Auftreten ließ Außenstehende zweifeln, ob sie nicht den Chef selbst vor sich hätten.

Sie kauften ein kleines Reihenhaus mit Garten in Hamburg – Fischbek. Beide schufen sich dort ein kleines Paradies. Er legte den Garten an und ging mit der Rosenschere täglich durch. Man konnte nicht erkennen, was geschnitten war. Sie machte es ihm mit schmackhaftem Essen und viel Gefühl gemütlich. Es war aber kein Rückzug ins Private. Für Nachbarn, Freunde und Verwandte war das Haus stets offen. Ein Gästebuch zeugt davon. So trug sich auch Graf Bernstorff ein, der eigentlich nur einen Verwandten vorbeibringen wollte.

Willi war 1913 geboren und hatte schon 4 erwachsene Kinder, zu denen intensiver Kontakt bestand.

Die Familie des Sohnes Klaus besuchten sie in den siebziger Jahren 2 mal in Kalifornien. Trotz fehlender Englischkenntnisse fuhren sie allein mit dem Bus zu anderen Verwandten nach Vancouver. Willis Renteneintritt brachte noch mehr Möglichkeiten. Die Mosel blieb ihr Stammurlaubsziel, Urkunden der Stadt Cochem künden davon. Aber auch andere Gegenden Deutschlands wollten erwandert werden. Auf den Wanderstöcken fanden nicht alle Marken Platz. Die Verwandten wurden auch nicht vernachlässigt. Bei einem harmlosen Besuch in Osterholz - Scharmbeck erlebte ich Willi, wie er mit Brettern unter den Füßen Rasensamen festtrat.

Zu Fuß ging es immer wieder in die Fischbeker Heide direkt hinter der Siedlung oder mit dem Fahrrad durch das alte Land.

Irma und Lydia litten unter dem Verlust der Heimat und besuchten Treffen der Kolberger und Pommern. Die Russen und Polen wurden schlimm beschrieben, so dass ich als Kind einmal fragte, ob die einen Rüssel hätten. Mir wurde dann erklärt, das es ebenso Menschen wie wir waren, sie aber als rechtlose Deutsche im Nachkriegsjahr unter ihnen zu leiden hatten. Der Wunsch nach der Wiedervereinigung war groß, aber unrealistisch. Nicht mal ein Besuch schien möglich.

Das änderte sich nach Willy Brandts Kniefall.

Lydia ergriff die Chance und leitete von 1973 bis 2011 insgesamt 118 Busreisen in die alte Heimat.

In Damitz traf sie Sophie aus der Familie, mit der sie 1945/46 auf ihrem Hof zusammengelebt hatten. Die Wiedersehensfeiern der ganzen Gruppe in deren Garten bei Kaffee und pommerschen Streuselkuchen, später bei Krimsekt und Vodka waren legendär. Manchmal spannte Adam die Kutsche an und es ging auf leeren Kartoffelsäcken  zum Picknick.

Bei soviel Lebensfreude konnten offizielle polnische Reiseleiter ihren Kurs nicht halten und machten mit. Aus der Dorfkirche klangen wieder deutsche Gesänge.

Irma und Willi waren mehrmals dabei.

Die Silberhochzeit feierten sie mit Freunden und Verwandten auch aus Amerika im Soldatenheim Fischbek.

In der Gymnastikgruppe der Kirchengemeinde Fischbek hielt sie sich fit.

Doch auch das Alter forderte seinen Tribut. Willis Gedächtnis ließ nach dem 80. Geburtstag nach. Irma versuchte alles aufzufangen und litt sehr darunter, dass sie ihn für sein letztes Lebensjahr in das Seniorenheim Neu-Wulmstorf bringen musste. Zwei Wochen vor seinem Tod 1998 tanzten sie noch zusammen.

Das gemeinsame Grab auf dem Heidefriedhof Neugraben hatten sie schon vorher gekauft. Irma besuchte ihren Willi dort mit dem Bus und lernte Frau Gerber kennen, die zur gleichen Zeit ihren Mann verloren hatte. Bis vor 2 Jahren ging sie immer wieder mit Begleitung den Hügel hinauf.

Eine schmerzhafte Rheuma-erkrankung schränkte die Beweglichkeit ein. Der ambulante Pflegedienst Hamel brachte zuverlässige Hilfe zum weiter selbständig leben. Mit dem Telefon organisierte sie sich alles, was sie brauchte. Der Arzt Dr. Ottahal, die Haushaltshilfe Steffie, die Fußpflegerin, den Nachbarn als Gärtner, den Stiefsohn Kurt als Fahrer.

1999 ließ sie sich von ihrer Stief -Schwiegertochter nach Australien einladen. Das Reisebüro half ihr bei der Organisation des 20stündigen Fluges. Sie schwärmte immer wieder von dem netten jungen Mann in Singapur, der sie im Rollstuhl schob. Auch der freundliche Empfang am anderen Ende der Welt mit Ausflügen zu den Koalas begeisterten sie. Die Brieffreundschaft zu Helen Holtz führte sie bis zuletzt.

 Immer wieder besuchte sie die Gemeindenachmittage der Kirchengemeinde Fischbek. Sie erzählte vom Ausflug zur Flussschifferkirche und anderen Zielen. Frau Kämmerling und später Frau Passau kamen mehrere Jahre von der Gemeinde wöchentlich als Freiwillige.

 Zu allen, die sich auf die Begegnung mit ihr einließen, entwickelten sich Freundschaften.

Ich selbst kam die letzten 20 Jahre in etwa 6-wöchigem Rhythmus für ein Wochenende. Die Gartenarbeit wurde immer wieder von leckeren Essen unterbrochen. Abends pflegte ich dann alleine Kontakt in der „Blockhütte“. Morgens ging es Brötchen holen mit der Australischen Einkaufstasche. Und dann kam der Ausflug mit dem Auto durchs alte Land, nach Hamburg, in die Heide. Im Landgasthof Emmen begrüßten uns Erna und Ivo freundlich. Nach dem guten Mahl schnell zum Mittagsschlaf, Kaffee – bei gutem Wetter auf der Terrasse – dann trat ich erfüllt die Rückfahrt an.

Nachdem der Stiefsohn Kurt plötzlich starb, hatte Irma das Glück, das Karl-Heinz, der Sohn von

Willis Schwester als Rentner nach Hamburg zurückkam und sie wöchentlich zum Einkauf fuhr. Dazu kamen Arztbesuche und zunehmend mehr, was Irma allein nicht mehr bewältigte. Seine Frau Frederika ließ Irma noch einmal in ihren selbst genähten Kleidern vor der Kamera posieren. Besonders eindrucksvoll ist auch die Serie an ihrem Lieblingsarbeitsplatz, der Küche

Im Frühjahr 2015 kam auch der Pflegedienst an seine Grenzen. Das neue Pflegeheim in Fischbek wurde mit der Kurzzeitpflege ausprobiert. Obwohl mehrere Nachbarinnen sie dort begrüßten, war Irma der Ansicht, sie sei ja nur befristet da. Wieder zuhause, war sie zunächst glücklich, kam aber nicht mehr die Treppe hoch, die sie lange fit gehalten hatte.

Im August 2015 stand der Besuch zu Lydias Geburtstag in Elsfleth an. Mit Hilfe des Arztes fand sie dann den Weg ins Haus Sandvoß in der Hafenstraße. 50 Jahre Hamburg gingen zu Ende.

Lydia schob sie ein halbes Jahr fast täglich im Rollstuhl durch die Elsflether Fußgängerzone. Ina und ihr Sohn Richard besuchten sie mehrfach in der Woche.

An den Sonntagen kamen Ausflüge nach Zetel, Osterholz-Scharmbeck, Zum drögen Schinken,

Moorriemer Landcafe und Klecksklause, Juliusplate, Hammelwarden und Brake als Kaffeeausflug dran. Leider wollten die meisten Cafes zur Nachmittagszeit keine Reservierungen annehmen.

Im „drögen Schinken“ verlangte sie auch zur Kaffeezeit Schinkenbrot und genoss es.

Sie bestaunte die Akrobaten und Clowns im kleinen Familienzirkus in Elsfleth.

Zu ihrem 95. Geburtstag in der Elsflether Kogge kamen 13 Gäste aus Hamburg, Hameln und Zetel.

Da zum Seeschifffahrtstag gerade ein Autokran auf dem Rathausplatz stand, ließ sie sich 60 Meter hoch leben.

Im September saßen wir beim Kaffee in Moorriem vor der 500 Jahre alten Klecksklause. Sie freute sich über die Hühner. Als die beiden Gänse schnatterten, erinnerte sie sich an ihr Heimatdorf. Ein Ganter hatte sie immer bedroht, bis sie ihn mal am Hals gepackt und kräftig geschüttelt hatte. Dann wäre er wie besoffen getorkelt.

Das Betreuungsteam im Seniorenheim regte sie vielfältig an. Nach dem Tod von Lydia fuhr Eta sie in der Woche im Rollstuhl durch Elsfleth. Besonders gern saßen beide im Eiscafe´.

Eine Woche vor Weihnachten wurde sie im Rollstuhl die Treppe des Panorama am Hafen hoch getragen.

Heiligabend verbrachte sie nach einem Sturz im Badezimmer im Braker Krankenhaus. Sie klatsche etwas, als wir drei Weihnachtslieder gesungen hatten.

Im Heim wollte sie dann ihre Ruhe und schloss die Augen am Freitagmorgen den 30.12.2016



Uwe Koopmann

Tarbarger Landstr. 21

26340 Zetel-Astederfeld













Gedenkkerze

NWZTrauer.de

Entzündet am 02.01.2017 um 08:45 Uhr

Nordwest-Zeitung

vom 02.01.2017